Karl Dovjak hatte einen der aussichtsreichsten Karriereposten dieser Republik. Er thronte weit über seiner Gemeinde Keutschach am See. Selbst auf den Bürgermeister des kleinen Ortes im Süden Kärntens sah Dovjak – wenn er wollte – hinab. Dabei ist Abgehobenheit nicht Sache des 59-Jährigen, im Gegenteil. Die Keutschacher sehen “Charly”, wie ihn alle nennen, eher als bodenständig und geerdet.
Den “aussichtsreichen” Posten hatte Dovjak am Holzturm des Pyramidenkogels, dessen Betriebsleiter er war. Die Besucherplattform, auf der man kilometerweit ins Landesinnere sieht, befindet sich fast 100 Meter über dem Boden. Das von den beiden Klagenfurter Architekten Markus Klaura und Dietmar Kaden erdachte und international bekannte Ausflugsziel ist ein Tourismusmagnet. Und Dovjak war der Herr am Turm.
Aber “Charly” war nicht nur dort der Chef. Dovjak kam 2015 durch einen politischen Erfolg in eine Doppelrolle. Er besiegte bei der Gemeinderatswahl 2015 seinen Vorgänger Gerhard Oleschko und wurde als SPÖ-Kandidat Bürgermeister der 2400-Einwohner-Gemeinde. Damit war der damals gut 50-Jährige für die Dauer der nächsten sechs Jahre als Pyramidenkogel-Betriebsleiter gleichsam “sein” eigener Angestellter.
Oleschkos Rückkehr
Doch dann passierte etwas, mit dem kaum jemand rechnete: Oleschko gewann die Bürgermeisterwahl 2021. Die ausgeprägte wechselseitige Abneigung der beiden Männer ist in der Gemeinde kein Geheimnis. Oleschko ist zudem kein unbeschriebenes Blatt, ihm wurde wegen Trunkenheit am Steuer der Führerschein entzogen. Und das nicht nur einmal. Auch seine Personalpolitik war schon mehrfach Ziel harscher Kritik.
Nun steht aber Dovjak in der Schusslinie. Denn der erwähnte Doppeljob – Bürgermeister und Betriebsleiter – droht dem SPÖ-Vizebürgermeister auf den Kopf zu fallen. Ausgerechnet ein roter Parteigenosse zeigte Dovjak nämlich bei der Kärntner Gemeindeaufsicht und der Staatsanwaltschaft Klagenfurt an. Woran sich wohl am besten die politische Hackordnung demonstriert: Freund – Feind – Parteifreund.
Der ebenfalls aus Keutschach stammende Parteikollege informierte die Behörden darüber, dass Dovjak es während seiner Bürgermeisterzeit zu bemerkenswerten 1500 Minusstunden als Betriebsleiter brachte. Auf den Punkt gebracht: Dovjak soll die beiden Tätigkeiten nicht sonderlich genau getrennt haben, sprich: Wenn er als Bürgermeister unterwegs war, habe er als Betriebsleiter nicht ausgestempelt. Das belegen Dokumente, die Mediapartizan vorliegen.
1600 Minusstunden
Neben seinem Bürgermeistergehalt von cirka 3900 Euro monatlich (Quelle: Gemeindebund 2020), soll Dovjak als Betriebsleiter rund 4.100 Euro verdient haben. Beide Beträge verstehen sich brutto. Trotz der mutmaßlichen Minusstunden, die auf einer vorliegenden Arbeitszeitabrechnung sogar 1600 Einheiten umfasst, soll Dovjak die volle Betriebsleitergage ausbezahlt worden sein.
Würde man ein Angestelltenmonat, wie es üblich ist, mit 174 Stunden hochrechnen, wären das mehr als neun Monate ohne gegenüberstehender Arbeitsleistung. Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Ermittlungsverfahren in der Sache, “ich bin aber bis heute nicht einvernommen worden”, sagt Dovjak auf Anfrage. Das ist nicht unüblich, denn der SPÖ-Politiker befindet sich aktuell noch gar nicht in einem Beschuldigtenstatus. “Herr Dovjak ist als Verdächtiger eingestuft”, sagt Markus Kitz, Leiter der Medienstelle bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt. “Das ist die Zwischenstufe zwischen Anzeige und Beschuldigtem.”
Entlassung
Als die 1600 Minusstunden in der Gemeinde ruchbar werden, kommt es im Mai des heurigen Jahres zu einem Treffen der beiden Polit-Kontrahenten Oleschko und Dovjak. Sieger und Besiegte sitzen einander gleichsam gegenüber. Doch in der aktuellen Konstellation ist Oleschko der Ober und Dovjak der Unter. Im Beisein eines Anwaltes spricht Oleschko Dovjak die Suspendierung aus, fast zur selben Zeit erhält er die Entlassung. Denn die Gemeinde wirft dem Betriebsleiter vor, die Arbeitszeitaufzeichnung am 28. und 29. März des heurigen Jahres nachträglich “manipuliert” zu haben, wie es Oleschko auf Anfrage ausdrückt. “Schauen Sie”, sagt er, “es darf niemand seine eigenen Arbeitszeiten nachträglich ändern. Das kann immer nur ein Vorgesetzter machen”.
Die vorliegenden Unterlagen legen nahe, dass Dovjak nicht ausgestempelt hat, wenn er in politischer Mission unterwegs war. Ob damit in Summe 1600 Minusstunden erreicht werden, kann nicht genau gesagt werden. Wohl aber, dass Dovjak beispielsweise am 17. Mai 2018 als Betriebsleiter den ganzen Arbeitstag voll eingestempelt blieb, aber offenbar von 8 bis 12 Uhr einer Sicherheitsolympiade am Sportplatz Schiefling beiwohnte. Das zeigt eine Terminliste Dovjaks, die ebenso vorliegt.
Oder am Mittwoch, 13. Februar 2019: Da nahm Dovjak laut Terminliste ab 16:15 Uhr an einem Treffen mit dem “Vorstand Raiba” teil. Schwer vorzustellen, dass Dovjak dies als Betriebsleiter tat. Bank-Angelegenheiten der Gemeinde sind Sache des Bürgermeisters. Trotzdem blieb Dovjak von 07:21 bis 19:44 Uhr als Betriebsleiter eingestempelt.
“WTG Aufsichtsratssitzung”
Dasselbe gilt für auch den 4. Februar 2020. Da war Dovjak gemäß Terminliste von 13:00 bis 17:00 Uhr in der Aufsichtsratssitzung und Generalversammlung der Region Wörthersee Tourismus. Blieb aber als Betriebsleiter von 07:43 bis 18:23 im Zeiterfassungssystem erfasst.
Solche Doppelgleisigkeiten gibt es viele. Dovjak erklärt auf Anfrage, er könne sich “nicht an solche Beispiele erinnern”. Es möge “sein, dass es gewisse Überschneidungen gegeben hat, das hätte man aber jederzeit korrigieren können”. Das “hat Oleschko aber nicht zugelassen. Er wollte mich ganz einfach loswerden”, sagt Dovjak, der erklärt, “ich habe wesentlich mehr Stunden gemacht als ich machen hätte müssen”. In einem Gespräch mit der Kleinen Zeitung im Mai erwähnte er, dass er unterm Strich sogar Plusstunden habe.
Nun steht genau die von Dovjak erwähnte Korrektur der Arbeitszeitaufzeichnungen im Fokus von Nachforschungen. Oleschko sagt, er sei “schockiert” über diese nachträgliche “Manipulation” der Stunden. “Dovjak hätte das nicht selbst durchführen dürfen.” In seiner Gleitzeitvereinbarung sei fixiert, “dass das nur der Amtsleiter darf”.
Korrigiert oder manipuliert?
Dass er selbst die Änderungen vorgenommen hat, gibt Dovjak – für ihn gilt die Unschuldsvermutung – zu. Er versteht es allerdings als “Korrektur”, wie er betont. Und er mahnt ein, dass er ständig darauf gedrängt habe, “dass die Stunden korrigiert werden”.
Die Gemeinde führt als Untermauerung einer, wie von ihr erklärt, “Manipulation” ein Schreiben des IT-Unternehmens Asut-Computer an. Darin heißt es beispielhaft, dass Dovjaks “Stempelung vom 05.05.2020 am 28.03.2024 um 12:41 Uhr erstellt wurde”. Also einer nachträglichen Änderung im System entspricht. Oleschko erklärt außerdem, dass er nicht glaube, dass Dovjak die Änderungen tatsachenrichtig durchgeführt habe: “Niemand kann Jahre zurück noch wissen, was er an einem bestimmten Tag gemacht hat.”
Brisantes Entlastungsmaterial
Doch Dovjak ist im Besitz von brisantem Entlastungsmaterial: Etwa einer handgeschriebenen Stellungnahme der ehemaligen Amtsleiterin Keutschachs. Darin bestätigt diese, dass sie Oleschko nach dessen Amtsantritt vorgeschlagen habe, “die Fehlstempelungen mit Hr. Dovjak zu korrigieren, woraufhin er mir mitgeteilt hat, dass er nicht möchte, dass ich dies gemeinsam mit Karl Dovjak korriere (sic!). Vielmehr hat er mir erklärt, dass er dies selbst mit Hr. Dovjak ,mache’.” Das Einscandatum der handschriftlichen Mitteilung ist der 15. Mai 2024, also wenige Tage nach dem Entlassungsgespräch zwischen Oleschko und Dovjak. Das Schreiben ist echt, das bestätigt die ehemalige Amtsleiterin auf Anfrage.
“Rauszuwerfen”
Und es birgt einen hochbrisanten Satz: “Im Zuge dieses Gespräches hat mir BGM Oleschko mitgeteilt, dass er nun eine Möglichkeit sieht, Herrn Karl Dovjak ‘”rauszuwerfen'”. Und konträr zur Aussage Oleschkos sei “auch noch festzustellen, dass die Bereichsleiter (…) den Zugang und die Berechtigung hatten, für ihre Mitarbeiter und sich selbst etwaige Fehlstempelungen zu korrigieren (…)”.
Auch ihr Vorgänger erklärt per Unterschrift, dass es sich um “Fehlstempelungen” gehandelt habe. Gleich wie bei der Nachfolgerin hat auch diese Stellungnahme den 15. Mai 2024 als Erstelldatum. Und auch dieses Schreiben birgt Brisanz. Denn der Vorgänger erklärt darin, dass sich Oleschko nach seinem Amtsantritt 2021 “intensiv über Herrn Karl Dovjak und seine Tätigkeiten und allenfalls vorhandene Missstände interessiert hat und ich ihm umfassend Auskunft darüber erteilt habe. Missstände hat es aus meiner Sicht nicht gegeben.” Auch er machte darauf aufmerksam, dass die “Fehlstempelungen (…) noch zu korrigieren wären” und erklärt in einem separaten Schreiben gegenüber Oleschko, dass Korrekturen “vom Zugangsberechtigten (insbesondere Amtsleiter) nach Prüfung entweder zu genehmigen oder abzulehnen” seien. Der ehemalige Amtsleiter war trotz mehrmaligem Versuch zur Frage der Echtheit der Schreiben nicht zu erreichen. Beide Führungskräfte waren von Oleschko 2021 bzw. 2023 teilweise unsanft vor die Tür gesetzt worden.
Schadenersatz
Entscheidet sich die Staatsanwaltschaft, ein Strafverfahren zu eröffnen, will sich die Gemeinde als Privatbeteiligte anschließen und einen “Teilschadenersatzbetrag in Höhe von € 50.000” geltend machen. Die Gemeindeaufsicht hat das beim Land eröffnete Verfahren “ruhend gestellt, während die staatsanwaltlichen Ermittlungen laufen”, sagt Abteilungsleiter Stefan Primosch.
In der Zwischenzeit wurde aus der Entlassung Dovjaks eine einvernehmliche Auflösung. Zuerst hatte Dovjak die Entlassung noch rechtlich bekämpft. Man hat sich bezüglich Abfertigungsansprüche aber wohl einigen können, so Dovjak, der vom “aussichtsreichsten” Karriereposten am Pyramidenkogel einen tiefen Fall hinnehmen musste. Aber: Tritt er 2027 wieder zur Bürgermeisterwahl an und gewinnt er, thront er zumindest politisch wieder über seinem Widersacher Oleschko.
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