“Watergate” in Klagenfurt

Image by HeungSoon from Pixabay
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In den „Guardian“ schafft es nicht jeder. Das britische Medium gilt auf der Insel als wichtigste Zeitung im linken Spektrum. Das Blatt ist über 200 Jahre alt, tagtäglich erreicht es Millionen Leser. Whistleblower Edward Snowden etwa arbeitete mit dem „Guardian“ zusammen, als er die NSA-Files veröffentlichte, die weltweit Kritik hervorriefen, weil amerikanische Geheimdienste quasi die ganze Welt abhörten.

Doch es gibt auch Fälle, in denen man ungewollt in den „Guardian“ kommt. Das ist der Landeshauptstadt Klagenfurt gelungen. Und zwar mit der „water crisis“, wie es der “Guardian” nannte. Der Trinkwasser-Krise. Die wurde von den Klagenfurter Stadtwerken (STW) am 18. Oktober zwar für beendet erklärt, als das Leitungswasser in der gesamten Stadt wieder freigegeben wurde. Doch das britische Blatt will zuvor starke Empörung unter den Einwohnern der Landeshauptstadt ausgemacht haben. Und die Zeitung bringt die Trinkwasser-Krise – medienethisch riskant – in Verbindung mit dem Vorpreschen der FPÖ bei der letzten Nationalratswahl. Motto: Das bringe das Fass zum Überlaufen und davon profitiere die blaue Partei.

Öl im Feuer der Empörung

Geht es nach STW-Vorstand Erwin Smole, war die „water crisis“ aber gar keine “water crisis”. – „Definieren wir Krise“, sagte er der Kleinen Zeitung. „Wir haben weiterhin eine aufrechte Wasserversorgung. Es gibt die Empfehlung, Wasser abzukochen. Eine Krise wäre es, wenn es keine Wasserversorgung geben würde.“ Smole kassierte für diese Kaltschnäuzigkeit nicht nur Kuschelkommentare, bei einigen goss er damit wohl noch Öl ins Feuer der Empörung.

Nadel im Heuhaufen

Über die Ursache der Verunreinigung des Trinkwassers mit Fäkalbakterien wussten die STW nicht genau Bescheid. Es sei ein „einmaliger Eintrag von einem Achtelliter Wasser“ gewesen, antwortet die STW-Pressestelle auf Anfrage. Smole erwähnt in einem Video das Volumen, in das dieser Fäkal-Achtelliter gelangt sei: „26 Millionen Liter.” Dieses Achtel zu finden gleicht natürlich der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Smoles NichtKrise dauerte – bezogen auf das gesamte Stadtgebiet und den Zeitpunkt der ersten Messung – immerhin vier Wochen. Die STW gehen davon aus, „dass die Verunreinigung durch eine unsachgemäße Nutzung eines Hydranten, eine fehlerhafte Hausbrunnenverbindung mit unserem Leitungsnetz oder eine private Baustelle mit Wasserleitungsbezug entstanden ist“. Eine Altersschwäche des Wasserleitungsnetzes der STW schloss Smole bei einer Pressekonferenz aus.

Fast 400 Jahre für die Netzerneuerung

Mediapartizan wurden nun geheime Unterlagen zugespielt, die deutlich machen, wie wenig den STW die Erneuerung des eigenen Wassernetzes wert war. Insgesamt sprechen wir von rund 900 Rohr-Kilometern, rund 600 davon Hauptleitungen, durch die das Wasser fließt. Gemessen wird die Erneuerung mit der sogenannten Rehabilitationsrate. 2017 etwa, zeigt eine interne STW-Grafik, kam das Unternehmen auf 0,26 Prozent Rehabrate. Bei einem Prozent wäre das gesamte Netz rechnerisch in 100 Jahren erneuert. Bei 1,5 Prozent in 67 Jahren.

Im Jahr 2000 etwa kam der Versorger laut dieser Grafik auf 0,76 Prozent, 2010 auf 0,78 Prozent. Dann verschlechtern sich die Werte bis 2015 (0,92 %). 2017 dann wie erwähnt das Absacken auf 0,26 Prozent. Oder rechnerisch: 384 Jahre für die Gesamteuerneuerung. Das ist eine 2017-Momentaufnahme. Smole und Harald Tschurnig, das der Vollständigkeit halber, begannen ihre Vorstandstätigkeit erst 2019.

Die Zahlen aus den vertraulichen STW-Unterlagen divergieren zum Teil zu den Raten, die der Rechnungshof (RH) 2023 veröffentlicht hat. Im vorigen Jahr waren die STW laut Auskunft wieder bei 1,06 Prozent. 9,7 Millionen Euro wurden 2023 in das Netz investiert, 2024 sollen es neun Millionen werden. Man spricht von einer Verdreifachung der Investitionen verglichen mit 2010.

“Es gibt nirgendwo ein Leck oder ein Loch, wo diese Verunreinigung permanent reinkommt.”

Erwin Smole, STW-Vorstand, (c) STW/Gleiss

Millionen versickern im Erdreich

Warum ist die Rehab-Rate so bedeutsam: Weil die STW Millionen durch versickertes Wasser verloren und wohl noch immer immense Beträge im Erdreich versickern. Der RH stellte fest, dass die Wasserverluste im Leitungsnetz von 2018 bis 2021 rund 5,33 Millionen Kubikmeter betrugen. Bewertet zu einem Verkaufspreis von 1,21 Euro je Kubikmeter „entsprach dies 6,47 Millionen Euro“, so der RH. Die Prüfer errechneten, dass das Netz eine Wasserverlustrate von bis zu 17 Prozent habe. 2023 betrug diese laut STW 14 Prozent (im Verhältnis der geförderten Jahreswassermenge).

Deal mit Schaschl

Trotz des versickerten Nasses verfügen die STW aber über genügend Wasser. Nicht nur in umliegenden Brunnenanlagen, sondern skurrilerweise auch in den Karawanken. Dort beginnt die Stadt Klagenfurt, da- mals waren die STW noch Teil des Magistrats, lange vor der Jahrtausendwende mit dem Ankauf von riesigen Grundstücken. Millionen Quadratmeter gehen über den Ladentisch. Titel der Aktion: „Strategische Wasserreserve für die Landeshauptstadt“. Einer der Verkäufer ist kein Unbekannter: Industriekapitän Erhard Schaschl. In dessen Stiftung befinden sich etwa die Anteile an der Treibacher Industrie AG. Von Schaschl wandern im Februar 2003 rund 55,5 ha an die STW. Kaufpreis: 1,14 Millionen Euro. Über zwei Euro pro Quadratmeter.

Ein anderer Grundstücksverkäufer, im Vergleich zu Schaschl unbekannt (deshalb ungenannt), erhält Ende 2002 exakt 1,2 Millionen Euro für 129 ha Karawankenfläche. Oder 0,93 Euro am Quadratmeter. Weniger als die Hälfte dessen, was Schaschl lukrierte.

Stadt und STW kauften um Millionen Karawankengrundstücke, die bis heute ungenutzt sind.

Fruchtgenussrecht für die STW

Diese beiden Grundstücke befinden sich im Besitz der STW. Weitere Millionen Quadratmeter gehören der Stadt Klagenfurt. Die STW haben ein Fruchtgenussrecht auf diesen Grundstücken. Das ist dem Grundbuch zu entnehmen. Der Energieversorger hat die Quadratmeterpreise offenbar Jahre später (nochmalig) überprüft. Auch das geht aus internen Papieren hervor. So scheint der Preis für Wald in den 1980er Jahren bei fünf bis zehn Schilling gelegen zu haben (0,36 bis 0,72 Euro).

Mindestens 30 Millionen Euro für Karawankenleitung

Aber trotz der Millionen-Ankäufe wurde nie eine Leitung gebaut, die das Wasser nach Klagenfurt schleusen würde. Das argumentieren die STW zwar damit, dass die Karawankenquellen wie erwähnt „als strategische Reserve für die Zukunft gekauft wurden“. Und die Wasserversorgung für Klagenfurt auch so „zu 100 Prozent gesichert ist“ – was der Realität entspricht. Die flüssige Kostbarkeit kommt aus vier Großanlagen. „Drei würden reichen“, sagt ein langjähriger STW-Mitarbeiter, der ungenannt bleiben möchte. „Die vierte ist Reserve.“

Aber auch die Kosten, das Wasser von den Karawanken zum nächstmöglichen Brunnen in Straschitz zu transportieren, dürften ein Grund dafür gewesen sein, dass die 35-km-Leitung nie gebaut wurde. Aus älteren STW-Unterlagen geht hervor, dass diese Leitung fast 30 Millionen Euro gekostet hätte. Heute wahrscheinlich bedeutend mehr.

Eine „Wasserkrise“ gibt es aber auch anderswo. Dafür muss man vom Berg wieder ins Tal, nach Klagenfurt. Am Südring soll bekanntlich das neue Klagenfurter Hallenbad entstehen. Die Stadt Klagenfurt hat dafür ein endfälliges Darlehen über 50 Millionen Euro aufgenommen. Kosten soll es aber laut Kleiner Zeitung schon mehr als 70 Millionen. Sechs Millionen davon sind bereits weg: Für Vor- und Planungsarbeiten, wie SPÖ-Stadträtin Constance Mochar in einer Gemeinderatssitzung Ende Oktober erklärte. Die lang befürchtete Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ist vom Tisch. Dennoch: Durch Beschwerden von Anrainern beim Bundesverwaltungsgericht könnte sich der Bau noch verzögern.

Gutachten: Altes Hallenbad war schon 2016 hochriskant

Möglicherweise hätte es aber nicht so weit kommen müssen. Wie aus einem geheimen Gutachten aus dem Jahr 2016 (!) hervorgeht, müsste dem Aufsichtsrat der STW schon seit damals bewusst gewesen sein, dass über dem alten Hallenbad in der Klagenfurter Gasometergasse der Siechenhammer hängt. Zwar geht aus dem Gutachten hervor, dass „die für die Benutzung erforderlichen Trag- und Standsicherheiten und die Gebrauchstauglichkeiten der Einzelbauteile (…) gegeben sind“. Taucht man allerdings tiefer ins alte Hallenbad ein, sollte mindestens seit 2016 völlig klar sein: „Das gegenständliche Gebäude hat den Zeitrahmen der technischen Nutzungsdauer bereits vier Jahre überschritten.“ Womit erstmal bestätigt ist, dass bereits vor zwölf Jahren, im Jahr 2012, ein neues Hallenbad da hätte sein sollen. „Schwachstellen am Gebäude sind jene Bauteile, deren Nutzungsdauer aufgrund der Materialeigenschaften und der Materialkomponenten eine begrenzte Lebensdauer aufweisen“, so der Gutachter. Das Bad wurde dann 2021 geschlossen. Wegen statischer Verschleißerscheinungen. Seither sitzt Klagenfurt am Trockenen.

STW-Vorstand Erwin Smole schätzte das alte Hallenbad im Februar 2020 in einer Gemeinderatssitzung noch als “top in Schuss” ein. Eineinhalb Jahre später musste es geschlossen werden.

Warnung in den Wind geschlagen

Der Gutachter nimmt auch eine Risikoeinschätzung vor: Ab 2017 prognostiziert er eine abgelaufene technische Nutzungsdauer. Das Risiko von 2017 bis 2023 schätzte er schon damals als „hoch“ ein. Das alte Hallenbad geöffnet zu lassen, war möglicherweise zwar rechtens – das Gutachten wurde aber offenbar nicht sonderlich ernst genommen, das Schrillen der Alarmglocken verhallte ohne gravierende Folgen. Noch 2020 erklärten die STW, das alte Hallenbad – man nannte es die “alte Dame” – halte noch durch. Das Gegenteil war dann im August 2021 der Fall: Chiuso.

Schon 2016 wurde das alte Klagenfurter Hallenbad als hochriskant eingeschätzt.

Wäre der „Guardian“ wieder einmal in der Stadt, er würde wohl darüber berichten, dass Klagenfurt die einzige Stadt mit Wasser in Hülle und Fülle ist, in dem man aber nicht baden kann – weil kein Hallenbad da ist.

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(c) Visit Villach, STW Gleiss

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