“Das ist ein Unsinn”, sagte Klaus Brandner im Juni des heurigen Jahres auf eine schriftliche Anfrage von Mediapartizan.at. In dieser ging es darum, ob es bei der Bezirkshauptmannschaft (BH) Spittal an der Drau zu Ungereimtheiten bei der Auszahlung von Covid-Entschädigungsgeldern gekommen sei? Brandner, er ist Spittaler Bezirkshauptmann, dementierte mit Verve, dass es behörden-intern eine Regelung oder Weisung gäbe, dass Covid-Entschädigungsanträge bis zu einer Höhe von 1.500 Euro einfach durchgewunken würden. Im Klartext: Sucht jemand – wie ein Fallbeispiel zeigt – um 1.214,61 Euro Covid-Verdienstentgang an, sollen die Mitarbeiter der BH angehalten worden sein, nicht mehr zu kontrollieren, ob eine Auszahlung in dieser Höhe tatsächlich gerechtfertigt sei. Weil bis 1.500 Euro einfach alles “raus musste”, wie eine anonyme Zuschrift vom April dieses Jahres an Mediapartizan.at behauptete. Die fall-beispielhaften 1.214,61 Euro seien einfach überwiesen worden. Ohne den tatsächlichen Anspruch zu kontrollieren. So die Vorwürfe.
Eine Vergütung des Covid-Verdienstentgangs steht einem Arbeitgeber zu, dessen Dienstnehmer aufgrund einer behördlichen Maßnahme abgesondert wurde und für den er weiterhin Entgelt bezahlt hat. Bekam also ein Mitarbeiter einen Absonderungsbescheid, stand der Firma quasi eine staatliche Ersatzzahlung zu, weil sie den abgesonderten Mitarbeiter weiter bezahlte. So regelt es das Epidemiegesetz von 1950.
Vertrauliche Unterlagen legen Missstände nahe
Anfang Juli sind Mediapartizan.at nach monatelangen Recherchen dann Unterlagen zugespielt worden, die Brandners Angaben, es sei “Unsinn”, dass Anträge bis zu einer Höhe von 1.500 Euro einfach durchgewunken worden seien, in Zweifel ziehen. Es handelt sich dabei um Dokumente aus dem Innersten der Behörde: Die Checkliste mit dem beantragten Verdienstentgang, die Excel-Berechnung der tatsächlichen Anspruchshöhe und der Bescheid mit dem Auszahlungsbetrag. Dabei ist festzuhalten: In allen vorliegenden Dokumenten sind die ausbezahlten Beträge höher als die tatsächlich errechneten Ansprüche.
Womit der Eindruck entsteht, dass es bei der BH Spittal dazu gekommen sein könnte, dass Anträge bis 1.500 Euro einfach durchgeschleust wurden. Als Grund für die angebliche Akkordarbeit führt das anonyme Schreiben an, dass die Mitarbeiter der BH Spittal der Abarbeitung der Anträge nicht mehr nachgekommen seien. Die Unterlagen wurden von der Redaktion aus Quellenschutzgründen an sensiblen Stellen geschwärzt. Sie liegen Mediapartizan.at ungeschwärzt vor.
Ministerium: “Hinweise auf Missstände”
Nach einer neuerlichen Anfrage bei Brandner am 30. Juli antwortete dieser dann anders: Die “Abarbeitung der Anträge durch die Bezirkshauptmannschaften” werde “derzeit vom Sozialministerium überprüft”. Das heißt nichts anderes als dass sich die Vorwürfe bis nach Wien herumgesprochen haben. Denn das Sozialministerium, über das die Verdienstentgangszahlungen nach dem Epidemiegesetz 1950 letztlich laufen, schickte dem Land Kärnten am 7. Juni dieses Jahres eine sorgenvolle Depesche: Dem Ministerium “sind Hinweise auf Missstände bei der Behandlung von Anträgen auf Vergütung von Verdienstentgang (…) übermittelt worden”. Und zwar in “einer Bezirksverwaltungsbehörde Kärntens”. In dieser bestünden offenbar “Vorgaben, Anträge bis zu 1500 € inhaltlich nicht zu prüfen, sondern den ausgewiesenen Betrag ohne Weiteres zuzusprechen”.
Es ist anzunehmen, dass es sich bei der erwähnten BH um jene in Spittal handelt.
In den zugespielten Antragsdokumenten geht es darum, dass überhöhte Auszahlungen stattgefunden haben könnten. In einem Fall liegt die mögliche Überzahlung bei fast 138 Euro. Bei anderen Anträgen sollen es etwa 75 Euro, rund 60 Euro, gute 50 Euro – bis hinunter zu wenigen Euro pro Antrag gewesen sein. Die Frage ist nun: Wie viele Anträge könnten mutmaßlich auf diese Weise durchgewunken worden sein? Dutzende? Hunderte? Und könnten die Überzahlungen pro Fall noch höher gewesen sein? Auf diese Fragen ging Brandner mit Verweis auf die Prüfung durch das Sozialministerium nicht ein.
“Auffälligkeiten bei Abrechnung von Verdienstentgängen”
Im Brief des Ministeriums ans Land Kärnten heißt es weiter: “Bei einer Überprüfung durch die zuständige Sektion [des Ministeriums] haben sich bei der Abrechnung von Verdienstentgängen des Landes Kärnten im Vergleich zu anderen Bundesländern Auffälligkeiten ergeben”, die jedoch nicht nur “eine bestimmte Bezirksverwaltungsbehörde betreffen”. In dem Schreiben ersucht das Ministerium das Land Kärnten “dringend um Prüfung der behaupteten Missstände und um Mitteilung über die getroffenen Maßnahmen bis 21. Juni 2024”. Das Ministerium verlangte also eine Überprüfung aller auszahlenden Stellen (BHs und Magistrate).
Dokument lässt mündliche “Motivation” vermuten
Das anonyme Schreiben vom April sprach von 12.000 offenen Anträgen in Spittal. Im Juni dann erklärte Brandner, es seien noch 6.000 Anträge offen.
Ob es eine Weisung gegeben hat, die Anträge einfach durchzuwinken, kann nicht eindeutig gesagt werden. Allerdings erklärt eine Person aus dem Behördenapparat, dass dem so sei. Aus Sorge vor Konsequenzen, musste ihr Anonymität zugesichert werden. Ein Schriftstück, das Mediapartizan.at vorliegt, legt außerdem eine mündliche Anhaltung der Mitarbeiter zum Durchwinken nahe.
Land wartet noch auf Ergebnisse von Stichproben
Das Land Kärnten ist redefreudiger als Brandner: Die Abteilung 5 Gesundheit antwortete dem Sozialministerium, dass ihr “weder Missstände bei der Erledigung der Vergütungsanträge (…) bekannt waren“ und auch „keine Weisung an die Bezirksverwaltungsbehörden erteilt wurde, (…), Anträge bis zu einer gewissen Höhe (z.B. bis € 1.500) inhaltlich nicht genau zu prüfen“. Es sei auch „zu keinem Zeitpunkt eine Ausnahme von der Prüfpflicht erteilt“ worden. Eine Anfrage beim Sozialministerium, wie der aktuelle Stand der Überprüfung ist, blieb bis Redaktionsschluss dieser Story unbeantwortet.
Mit Stand 1. Juli sind in Kärnten von rund 114.000 eingebrachten Anträgen gut 100.000 abgearbeitet. Zu den Nachzüglern gehören die BHs Wolfsberg, Villach Land und eben Spittal. Die Abteilung 5 Gesundheit ressortiert zu Landesrätin Beate Prettner (SPÖ). Die Bearbeitung der Verdienstentgänge liegt jedoch in der Verantwortung der BHs und Magistrate. Das Personal für die Antragsabarbeitung, das sind kärntenweit bis zu 70 Mitarbeiter, stellt der Verein Gesundheitsland Kärnten. Der befindet sich im Hoheitsgebiet des Landes – Prettner ist dort Vorsitzende. Die Landesrätin lässt wissen, dass die Gesundheitsabteilung das Sozialministerium als Replik auf den Brief habe wissen lassen, “dass eine stichprobenartige Überprüfung der Bescheide geplant ist”. Eine erste Umfrage der Abteilung 5 unter den auszahlenden Stellen habe ergeben, “dass es zu keiner Zeit etwaige Vorgaben oder Weisungen gab”. Das Ergebnis der Stichproben-Überprüfung stehe allerdings noch aus.
Vielleicht beginnt man bei den Stichproben mit den sechs hier angeführten Fallbeispielen. Es gäbe derer weitere.
In der Provinz hält die große (COFAG) Welt Hof.